Jede medizinische Behandlung hat so seine mehr oder weniger unangenehmen Nebenwirkungen, das ist man ja gewöhnt und paßt auf. Deswegen waren die Nebenwirkungen meiner zweiwöchigen Behandlung in der Steigerwaldklinik eine große Überraschung, denn sie waren unerwartet positiv! Doch ich erzähle meine Geschichte lieber der Reihe nach:
Ich bin schon 83 Jahre alt, wohne und arbeite zusammen mit meiner Frau Ute-Maria im Schwarzwald nahe Freiburg im Winter und im Sommer in Cadaqués, dem wohl schönsten Dorf Spaniens am nördlichen Ende der Costa Brava. Ich habe Biochemie studiert in Freiburg, Grenoble, Harvard und Stanford und arbeite seit 1974 bis heute immer noch, um Familien in aller Welt, die Söhne mit der noch unheilbaren Erbkrankheit Duchenne-Muskeldystrophie ("Muskelschwund") haben, zu erklären, wie nahe die internationale Forschung durch Gentechnik an einer Therapie ist, die den Verlauf dieser entsetzlichen Krankheit in den nächsten Jahren zumindest verlangsamen wird, an der die Kranken jetzt immer noch mit 20-30 Jahren sterben müssen.
Wegen meiner Arbeit, die international wichtig geworden ist und auf Vorschlag einer Familie mit zwei todkranken Söhnen von Präsident Horst Köhler mit dem Bundesverdienstkreuz belohnt wurde, konnte ich mich von einer schnell immer schlimmer und schmerzhafter werdenden Polyneuropathie und deren Nebenerscheinungen nicht überwältigen lassen. Von der normalen Medizin bekam ich nur immer mehr Medikamente verschrieben, bis es 15 und mehr pro Tag waren. Der einzige Trost war, daß das eine ganz normale Alterserscheinung wäre, gegen die man nichts machen könnte. Das war also eine "unheilbare" Krankheit, und ich sollte mich damit abfinden. Das wollte ich aber nicht akzeptieren.
Da erzählte mir ein Freund in Hamburg, ein koreanischer Heilpraktiker hätte ihn mit TCM, mit der traditionellen chinesischen Medizin, von seinen vielen Medikamenten befreit, die er wegen seiner jahrelangen schweren Herzrhythmusstörungen nehmen mußte. Mit Hilfe des Internets war es dann nicht weit zu allen Informationen über die TCM-Steigerwald-Klinik im Wald zwischen Würzburg und Bamberg. Ich sah gleich, daß es eine der Hauptaufgaben der Klinik ist, etwas gegen die Polyneuropathie zu unternehmen.
Also meldete ich mich zur Akutaufnahme für zwei Wochen in der Klinik an und war am Pfingstmontagabend dort, wo schon der Empfang durch Schwester Karina, die gar nicht wie eine Schwester aussah – sondern eben wie eine hübsche junge Frau ohne Uniform aussieht –, die zusammen mit der privaten Atmosphäre der Klinik mir gleich ein gutes Gefühl gab, das noch vertieft wurde durch die ungewohnt intensive mehr als zwei Stunden lange Untersuchung am nächsten Tag durch die Ärztin Ulla Danzer, die wirklich alles wissen wollte, jedes kleine Alterszipperlein und meine und meiner Familie ganze Lebensgeschichte. Daraus erstellte sie eine Diagnose und einen Behandlungsplan, den sie allein oder auch zusammen mit dem gesamten Ärzteteam unter Leitung von Chefarzt Dr. Christian Schmincke an jedem Arbeitstag meiner zwei Wochen dort ausführlich besprach und auch modifizierte, um den bestmöglichen Erfolg zu erreichen.
Das Wichtigste meiner Behandlung bestand vor allem aus den sog. Dekoks, eigentlich "Tees" aus chinesischen seit Tausenden von Jahren bekannten Kräutern, Wurzeln, Mineralien und anderen geheimnisvollen Heilmitteln, die schlückchenweise den ganzen Tag über aus zwei Halbliter-Thermosflaschen getrunken werden. Sie wurden begleitet von anderen Maßnahmen, z.B. mehreren Akupunkturen, von Frau Danzer mit ganz kleinen Nadeln ausgeführt, die man kaum sieht und die gar nicht weh tun, und für die eben nicht Stricknadel-große Spritzen verwendet werden, wie ich es mir als Neuling zunächst vorstellte. Weiterhin gab es Körpertherapien, bei denen der Therapeut oder die Therapeutin ganz intensiv und entspannend mit den Händen die verkrampften Stellen im Körper löst. Jeden Morgen nahm ich am QiGong unter Leitung von Herrn Hansen teil, das war keine anstrengende Frühgymnastik, wie ich zuerst dachte, sondern eine Konzentrations- und Meditationsübung, die mich und die anderen Teilnehmer positiv auf den Tag einstimmte. Außerdem gab es jeden Abend eine ölige "Einreibung" meines Rückens durch eine der vielen jungen Schwestern, was äußerst angenehm war. Die "unglaublichste", aber sehr angenehme Behandlung lieferten jedoch so fünf Pfund etwa 40 Grad warme ungekochte Linsen in einer Plastikschale, die ich jeden Nachmittag so eine Stunde lang mit meinen nackten Füßen durchrühren mußte, während ich mit den Händen meine Briefe mit dem Computer schrieb.
Zum positiven Ergebnis der Behandlung trug aber auch bei, daß Rauchen überall verboten war, das hat mich als starkem Nichtraucher gar nicht gestört. Es gab aber auch kein Fernsehen im Zimmer – nur gemeinsames Fußballgucken, wenn Bayern München schließlich doch gewinnt – und auch Handys waren nicht erlaubt, und es gab auch keinen Alkohol und keinen Kaffee mit Kaffein, und auch kein bißchen Fleisch oder Fisch. Das vegetarische Essen mit Selbstbedienung und so viel wie man wollte, sah vielleicht nicht so raffiniert aus wie in einem Luxusrestaurant, dafür schmeckte es aber wohl fünfmal besser. Der Chefkoch, Mauro Fedetto, ist ja auch Italiener. Außerdem gibt’s einen wunderschönen parkartigen Garten mit Küchenkräuterabteilung um die Klinik herum.
Aber jetzt zu den Begleiterscheinungen meiner Krankheit und am Ende zu der Polyneuropathie selbst:
Das sog. restless-leg syndrom, RLS, störte mich seit langem und ließ mich meistens nicht einschlafen. Mehrere Tabletten Sifrol mußte ich abends nehmen, um es einigermaßen zu reduzieren. Jetzt schleiche ich mich daraus aus, habe nur noch eine Sifrol-Tablette, dafür aber seit Anfang der Behandlung ein paar Tropfen RLL-Öl abends auf die feuchten Füße geschmiert, die verhindern das RLS sofort. Das Öl besteht hauptsächlich aus Jojobaöl und 6 weiteren wohlriechenden Essenzen einschließlich Lavendel, Melisse und Bergamotte. Es wirkt anscheinend so schnell, weil das RLS, wie ich meine, irgendwie von der Haut aus verursacht wird.
Seit vielen Jahren konnte ich nur mit Hilfe kleiner aber immer größer werdende Mengen des Schlafmittels Ximovan, chemisch Zopiklon, einigermaßen durchschlafen. Der Grund waren nichtabstellbare aber auch nicht unbedingt negative Gedanken. Manchmal half ein ziemlich brutales kurzes kaltes Duschen nachts und dann den Pyjama naß anziehen und in der Bettwärme trocknen lassen. Jetzt ist dieses Problem plötzlich weg und bleibt auch weg, zunächst wohl wegen eines speziellen Nacht-Dekoks das ich in der Klinik spät nachts getrunken habe, und das ich jetzt ambulant mir selbst bereiten kann und nach Bedarf trinken werde.
Und mit einer Menge Extrasystolen, also zusätzlichen Herzschlägen, die ich aber gar nicht merkte und nur beim Blutdruckmessen sah, hatte ich mich abzugeben. Die würden nichts machen, wurde mir gesagt. Frau Danzer sagte mir gleich, es gäbe zwei Sorten davon bei mir, vielleicht würden die auch verschwinden. Die sind jetzt viel weniger geworden. Und besonders auf den Oberarmen war ein unerklärliches Jucken manchmal nur durch Kratzen zu bekämpfen, das es aber nur schlimmer machte. Aber Einschmieren mit der Kortison-Creme Ecural half für ein paar Tage. Jetzt ist auch das weg!
Das Allertollste aber war, daß mein Zittern beim Schreiben mit der rechten Hand, also ein Intentionstremor, den man mit keinem Computertomogramm des Gehirns oder anderen diagnostischen Maßnahmen seit etwa 20 Jahren erklären konnte, plötzlich nach einer Woche Steigerwald praktisch aufhörte, und immer noch wegbleibt, so daß ich mein Tagebuch, um das mich Frau Danzer gebeten hat, auch während der Ambulanzzeit ohne die alten Probleme wieder mit der Hand schreiben kann.
So, das waren die vielen ungewollten Nebenwirkungen der eigentlich gewollten Heilung von meiner Polyneuropathie. Die wurde aber behandelt wie die der vielen anderen Patienten in der Klinik auch, wie ich vorhin beschrieben habe. Das Ergebnis nach zwei Wochen ließ sich an manchen Änderungen meiner Symptome ablesen. Die eigentlich sichtbarste war inspiriert von der jetzt am meisten in den klinischen Prüfungen der neuen Muskeldystrophie-Medikamente verwendeten einfachen Muskelfunktionsmessung, dem 6-Minuten-Gehtest, bei dem man die kleinen Patienten 6 Minuten, so schnell sie können, geradeaus gehen läßt und dann die Meter bestimmt, die sie in den 6 Minuten zurücklegen konnten. Je besser die Muskeln funktionieren, desto weiter können sie gehen. Also machte ich so etwas Ähnliches: Ich ging gleich am zweiten Tag den gekennzeichneten und mit Informationstafeln versehenen Waldweg einmal ganz herum und brauchte dazu etwas als eine ganze Stunde. Das Gleiche machte ich zusammen mit Sigrun, die eigentlich eine ganze Gruppe führen wollte, aber nur mich als Begleitung fand. Mit ihr brauchte ich so etwa 45 Minuten. Und dann, zwei Tage vorm Ende meiner zwei Wochen ging ich noch einmal den ganzen Weg herum, so schnell ich konnte. Ich brauchte wirklich nur noch 30 Minuten. Na ja, ganz wissenschaftlich war dieses Experiment nicht, denn schließlich habe ich mit Sigrun viel geredet. Aber der Erfolg war doch sichtbar, ich konnte besser laufen ohne große Schmerzen als ganz am Anfang.
Jetzt werde ich fünf Monate lang in Spanien unter Aufsicht von Frau Danzer und dem ganzen Ärzteteam die Behandlung mit den Dekoks, eventuell nach möglichen Änderungen, weiterführen und mich aus meinen "alten" Medikamenten ganz ausschleichen. Im November möchte ich für zwei Wochen wiederkommen und versuchen, mit allen Helfern meine "unheilbare" Polyneuropathie ganz loszuwerden. Eine Garantie habe ich dafür nicht bekommen, aber vielleicht geht es trotzdem. Dann kann ich auf dem Weitsprungplatz für Waldtiere vielleicht weiter als eine Maus, oder sogar so weit wie ein Eichhörnchen springen!
Mit vielen Grüßen und herzlichem Dank an alle, die mich so gut betreut haben, bin ich Euer Günter Scheuerbrandt.
13. Juni 2013
Polyneuropathie und Restless Legs
Dr. Günther Scheuerbrandt
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